Gerichtsentscheidung: Strafprozeßrecht



§ 105 StPO

Landgericht Kassel
3. Strafkammer
Beschluß vom 10.05.2010, 3 Qs 111/10

In der Strafsache

gegen     X
wegen     Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

Verteidiger: Rechtsanwalt Löwenstein, Baunatal

hier: Wohnungsdurchsuchung

hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Kassel als Beschwerdekammer am 10. Mai 2010 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 26.03.2010 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten am 29.12.2008 rechtswidrig gewesen ist.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe:

Am 29.12.2008 wurde der Zeuge M. gegen 16 Uhr vor dem Haus Z-Weg Nr. 58 als Fahrgast eines Mini-Cars mit rund 200 g Amphetamin festgenommen. Während seiner anschließenden polizeilichen Vernehmung erhielt der Zeuge mehrfach Anrufe auf seinem Handy von der Rufnummer 01520/6783372, welcher der Zeuge den Namen "Alex P." zugeordnet hatte. Um 17:10 Uhr erklärte der Zeuge er habe das Amphetamin an den Beschwerdeführer unter der Anschrift Z-Weg Nr. 50 liefern wollen. Diese Adresse entsprach dem bereits von dem Mini-Car-Fahrer angegebenen Fahrtziel.

Daraufhin klingelten die noch vor Ort anwesenden und das Haus Z-Weg Nr. 50 observierenden Polizeibeamten K. und Kl. bei "S./B." und nahmen den Beschwerdeführer sowie dessen Freundin, Frau B., fest. Der Beschwerdeführer wurde in das Polizeigewahrsam verbracht, Frau B. wurde vor Ort durchsucht. Mit ihrem Einverständnis wurde sodann ab 17:45 Uhr in ihrer Gegenwart die Wohnung durchsucht. Dabei beschlagnahmten die Polizeibeamten die auf Bl. 9 und 9a, Bd. I d.A. vermerkten Gegenstände. Der hierüber gefertigte, polizeiliche Vermerk vom 29.12.2008 verhält sich nicht zu den Gründen der polizeilichen Durchsuchungsanordnung.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 26.03.2010 erklärte das Amtsgericht Kassel auf Beschwerde des Beschuldigten die am 29.12.2008 durchgeführte Durchsuchung für rechtmäßig. Auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 4, Bd. II d.A.) wird Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Verteidigerschriftsatz vom 26.04.2010 Beschwerde eingelegt.

Der Beschwerde wurde durch das Amtsgericht nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft Kassel hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

Die Beschwerde gegen den die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung feststellenden Beschluss vom 26.03.2010 ist zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Rechtswidrigkeit der Maßnahme vom 29.12.2008 festzustellen. Es liegt ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 StPO vor.

Gemäß § 102 StPO kann bei demjenigen, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat verdächtig ist, die Durchsuchung der Wohnung oder anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen zum Zweck seiner Ergreifung und auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird. Voraussetzung einer Durchsuchung ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Die hierfür erforderlichen, zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte lagen aufgrund der Aussage des Zeugen M., welche durch den Mini-Car-Fahrer und den Namen des Anrufers auf dem Handy des Zeugen M. bestätigt wird, vor.

Allerdings ist die Durchsuchung unter Verletzung des Richtervorbehalts des § 105 Abs. 1 StPO vorgenommen worden und damit rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift steht die Anordnung einer Durchsuchung dem Richter zu und nur bei, Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 GVG). Dabei ist, unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes durch Art. 13 GG, die Eilkompetenz als Ausnahmefall zu betrachten und entsprechend sind deren Voraussetzungen eng auszulegen (vgl. BVerfG vom 08.03.2006, Az. 2 BvR 1114/05; vorn 12.02.2004, Az.. 2 BvR 1687/02; vom 20.02.2001, Az. 2 BvR 1444/00). Regelmäßig muss zumindest der Versuch unternommen werden eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

Die Umstände, die zu einer Annahme der Gefährdung des Ermittlungserfolges nach § 105 Abs. 1 StPO führen, müssen darüber hinaus in der Akte einzelfallsbezogen und nachvollziehbar dokumentiert sein, soweit sie nicht ohnehin evident sind (vgl. BVerfG vom 08.03.2006, Az. 2 BvR 1114/05; vom 12.02.2004, Az. 2 BvR 1687/02; vom 20.02.2001, Az. 2 BvR 1444/00). Die Dokumentation hat in aller Regel zeitnah zu erfolgen. Jedenfalls im Rahmen der Beschwerdeentscheidung ist eine spätere Nachholung der Dokumentation ausgeschlossen, da dies die präventive Funktion des Richtervorbehalts leerlaufen ließe (vgl. Meyer-Goßner StPO, § 105 Rdn. 15a f; BVerfG vom 28.07.2008, Az. 2 BvR 784/08; vom 31.10.2007, Az. 2 BvR 1346/07; vom 20.02.2001, Az. 2 BvR 1444/00). Die Inanspruchnahme der Eilkompetenz ist keine nur eingeschränkt justiziable Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft oder der Ermittlungsperson, sondern eine umfassend gerichtlich zu überprüfende Entscheidung. Bereits das Fehlen der für eine gerichtliche Überprüfung erforderlichen Dokumentation kann die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung zur Folge haben (vgl. BVerfG vom 12.02.2004, Az. 2 BvR 1687/02).

Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass der Versuch unternommen wurde, den zuständigen Richter zu erreichen. Es ist auch nicht aufgrund der übrigen, der Akte zu entnehmenden Umstände evident, dass allein durch einen solchen Versuch der Ermittlungserfolg bereits gefährdet gewesen wäre. Da der Lieferant des Betäubungsmittels bereits festgenommen und seitdem das Wohnhaus des Beschwerdeführers observiert war, sind eventuelle weitere Umstände, durch die jegliches weiteres Zuwarten zu einer Gefährdung des Ermittlungserfolges hätte führen können, nicht ohne weiteres offenkundig und hätten festgehalten werden müssen. Da weder dies geschehen ist, noch sich sonst aus dem Ermittlungsvermerk ergibt, dass überhaupt Überlegungen zu der grundsätzlichen Erforderlichkeit einer richterlichen Anordnung der Durchsuchung angestellt wurden, ist eine nachträgliche Überprüfung der Inanspruchnahme der Eilkompetenz nicht möglich und bereits deshalb die Maßnahme rechtswidrig.

Dementsprechend kommt es auf die Frage der Erreichbarkeit des zuständigen Richters nicht an. Unabhängig von der Existenz und der Notwendigkeit der Einrichtung eines besonderen richterlichen Eildienstes gab es jedenfalls einen zuständigen Richter. Da durch das gem. § 21 e GVG zur Entscheidung über die Einrichtung eines Bereitschaftsdienst verpflichtete Präsidium des Amtsgerichts Kassel zum damaligen Zeitpunkt ein Bereitschaftsdienst nicht eingerichtet war, war der nach der regulären Geschäftsverteilung zuständige Ermittlungsrichter auch im vorliegenden Fall zuständig (vgl. hierzu Kissler/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 16 Rdn. 81, § 21 e Rdn. 136 und § 22 Rdn. 34).

Nach allem ist festzustellen, dass die formalen Voraussetzungen für eine Durchsuchung nicht vorgelegen haben bzw. diese nicht in ausreichendem Maße dokumentiert sind. Solche Mängel in der Dokumentation und Begründung können nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen. Nach allem ist daher festzustellen, dass die Durchsuchung am 29.12.2008 rechtswidrig gewesen ist. Über die Frage der Verwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel ist hier hingegen nicht zu entscheiden (vgl. hierzu Meyer-Goßner StPO, § 105 Rdn. 18 m.w.N.). Die Kostenentscheidung folgt aus dem Erfolg der Beschwerde.


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