Gerichtsentscheidung: Zivilrecht



§§ 307 Abs. 1, Abs. 2, Nr. 2; 654 BGB; 93 ff. HGB

Verwirkung des Provisionsanspruchs des Versicherungsmaklers wegen einseitiger und treuwidriger Beratung.

Amtsgericht Kirchhain
Urteil vom 26.11.2009, 7 C 203/08 (rechtskräftig)


In dem Rechtsstreit

A. Inkasso GmbH,     Klägerin

gegen

Herrn B.,     Beklagter,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Löwenstein & Banhegyi., Altenritter Str. 9, 34225 Baunatal,

hat das Amtsgericht Kirchhain durch den Direktor des Amtsgerichts K. aufgrund der. mündlichen Verhandlung vom 05.11.2009 für Recht erkannt:

    Die Klage wird abgewiesen.
    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Maklerlohn der Firma Royal Finance Consult GmbH (Zedentin) für die Vermittlung einer fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherung geltend.

Die seit dem Jahre 2007 von einem Insolvenzverfahren betroffene Zedentin vermittelte Versicherungen in Form sogenannter Nettopolicen, bei denen die Provision nicht von der Versicherungsgesellschaft getragen und in die Versicherungsbeiträge einkalkuliert, sondern gesondert ausgewiesen und unmittelbar gegenüber dem Versicherungsnehmer geltend gemacht wird. Der Beklagte ließ sich von einem Untervermittler der Zedentin, dem Zeugen A., beraten und unterzeichnete am 24.03.2006 auf einem zusammenhängenden, aus mehreren Blättern bestehenden Formular drei Erklärungen, nämlich einen Antrag auf eine fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherung nach dem Tarif LAR 1 mit Dynamik (World Invest Police). der Atlanticlux Lebensversicherung S.A. in Luxemburg, eine Vermittlungsgebührenvereinbarung mit der Zedentin und einen Zahlungsverkehr-Treunhandauftrag mit der Firma FWU Payment Services GmbH (BI. 16 ff. d.A.). Die abgeschlossene Vermittlungsgebührenvereinbarung sieht monatliche Ratenzahlungen von 36,21 €, fällig jeweils am 1. eines Monats ab Versicherungsbeginn, vor. Der Beklagte leistete nur für Mai 2006 eine entsprechende Zahlung. Nachdem trotz Mahnungen keine weiteren Ratenzahlungen erfolgt waren, stellte die Klägerin mit Schreiben vom 26.11.2007 (BI. 25 d.A.) die noch offenen Vermittlungsgebühren zum 23.12.2007 zur Zahlung fällig. Der Beklagte erbrachte jedoch keine Leistungen mehr.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei über das vermittelte Produkt umfassend aufgeklärt und beraten worden, was er durch seine Unterschrift unter dem Beratungsbericht (BI. 126 d.A.) selbst anerkannt habe. Im Rahmen der Beratung sei neutral über die am Markt verfügbaren Versicherungs-, Vorsorge- und Vermögensbildungsmöglichkeiten informiert und eine Finanzanalyse erstellt worden.

Die Klägerin beantragt,

    den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.018,23 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12.2007 sowie Inkassokosten in Höhe von 261,50 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

Er bestreitet bereits eine wirksame Forderungsabtretung. Insoweit macht er unter anderem geltend, dass die Abtretungserklärung vom 14.08.2007 (BI. 15 d.A.) nicht wirksam sei, weil das verwendete Schriftkürzel den Aussteller nicht erkennen lasse und deshalb keine gültige eigenhändige Unterschrift darstelle. Im Übrigen ist der Beklagte der Auffassung, dass der Klägerin der geltend gemachte Zahlungsanspruch wegen einer Falschberatung, die entsprechende Schadensersatzansprüche nach sich ziehe bzw. zur Anwendung von § 654 BGB führe, nicht zustehe. Hierzu trägt er vor, der Untervermittler sei als Handelsmakler aufgetreten, habe ihm aber nur das verfahrensgegenständliche Produkt "aufgeschwatzt", ohne ihn über die Einzelheiten der Vertragsgestaltung, der Vorteile und Risiken sowie der Anspar- und Auszahlungsmodalitäten zu beraten und aufzuklären. Zudem seien ihm keine Alternativprodukte anderer Anbieter vorgestellt und angeboten worden. Weiterhin macht der Beklagte geltend, ‚die Vermittlungsgebühren-vereinbarung wegen deutliche überhöhter Entgelte sittenwidrig. Schließlich beruft er sich darauf, mit seinem Kündigungsschreiben vom 22.06.2006 (BI. 72 d.A.) eine wirksame Anfechtung des Versicherungsvertrages bzw. dessen Widerruf erklärt zu haben mit der Folge, dass auch kein Anspruch auf Zahlung von Vermittlungsgebühren entstanden sei.

Auf die unter Angabe der Blattzahl der Akten aufgeführten Urkunden wird wegen ihres näheren Inhaltes Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 03.04.2008 (BI 8 ff. d.A.), 20.06.2008 (BI. 108 ff. d.A.) und 06.08.2008 (BI. 168 ff. d. A.) sowie der Beklagten vom 26.05.2008 (BI. 53 ff. d.A.), 29.05.2008 (BI. 85 ff. d.A.), 30.06.2008 (BI. 142 ff. d.A.) und 02.07.2008 (BI. 150 ff. d.A.) verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen A.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wir auf die Sitzungsniederschrift vom 05.11.2009 (BI. 190 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vermittlungsprovisionen gegen den Beklagten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine wirksame Forderungsabtretung, eine wirksame Anfechtung bzw. ein wirksamer Widerruf des Versicherungsvertrages oder Sittenwidrigkeit der Vermittlungsgebührenvereinbarung vorliegt. Der Klägerin steht bereits deshalb der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil die Zedentin ihren Vermittlungsgebührenanspruch gern. § 654 BGB verwirkt hat.

Die Zedentin ist als unabhängige Versicherungsmaklerin im Sinne der §§ 93 ff HGB tätig geworden. Dies folgt bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vermittlungsgebührenvereinbarung. Dem steht nicht entgegen, dass die Zedentin die von ihr zu erbringende Leistung auf die Vermittlung der verfahrensgegenständlichen Police beschränkt und darüber hinausgehende Beratungs-, Aufklärungs- und Betreuungspflichten ausgeschlossen hat. Der entsprechende Passus in dem verwendeten Formularvertrag stellt eine schwerwiegende Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne des § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Ziffer 2 BGB dar und ist deshalb nichtig.

Es ist anerkannt, dass eine Verwirkung des Maklerlohns nicht nur in dem gesetzlich geregelten Fall der vertragswidrigen Doppeltätigkeit eingreift, sondern in entsprechender Anwendung des § 654 BGB auch in sonstigen Fällen einer schwerwiegenden Treuepflichtverletzung in Betracht kommt. Allerdings lässt nicht jede objektiv erhebliche Pflichtverletzung und nicht jedes Informations- und Beratungsverschulden den Provisionsanspruch gern. § 654 BGB entfallen; vielmehr muss in erster Linie eine subjektiv schwerwiegende Treuepflichtverletzung gefordert werden, durch die sich der Makler seines Lohnes als unwürdig erweist (BGH, NJW - RR 2005, 10423 (1424) m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gegeben. Zu der Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen sind vorsätzliche, jedenfalls grob leichtfertige Sorgfaltspflichtverletzungen hinzugetreten, die es insgesamt als gerechtfertigt erscheinen lassen, eine Verwirkung des Maklerlohnanspruchs anzunehmen. Der Zedentin als treuhänderischer Sachwalterin der Interessen des Beklagten oblagen diesem gegenüber umfassende Beratungsund Aufklärungspflichten. Sie hätte insbesondere auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene Produkte und Anlageformen vorstellen und über deren Vor- und Nachteile aufklären müssen. Dies ist entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht geschehen. Die Beweisaufnahme hat klar ergeben, dass der Zeuge A., der als Erfüllungsgehilfe der Zedentin fungierte, den Beklagten lediglich im Rahmen einer einzig und allein auf den Vertrieb der verfahrensgegenständlichen Nettopolice der Atlanticlux Lebensversicherung S.A. ausgerichteten Tätigkeit betreute. Der Zeuge A. hat bei seiner Vernehmung eindeutig und glaubhaft bekundet, dass er gezielt mit dem Vorhaben, das Produkt "World Invest Police" zu verkaufen, auf den Beklagten zugegangen sei und er ihm trotz seines geäußerten Wunsches nach einer sicheren Anlageform zur Altersvorsorge weder ein Alternativprodukt angeboten noch ihn über die Möglichkeit des Totalverlustes aufgeklärt habe. Der Zeuge hat darüber hinaus selbstkritisch angemerkt, dass er sich ausdrücklich als Makler vorgestellt, seine Vorgehensweise aber mit einer Maklertätigkeit eigentlich nichts zu tun gehabt habe.

Bei der dargestellten Sachelage hat die Zedentin gegen die ihr obliegenden Pflichten zumindest in grob leichtfertiger Weise verstoßen, so dass sie sich in analoger Anwendung des .§ 654 BGB des Maklerlohns als unwürdig erwiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.


Anmerkung:

Die Klägerin, ein Inkassounternehmen, hat in einer Vielzahl von Fällen vermeintliche Provisionsansprüche von Versicherungsmaklern aufgekauft und macht diese bundesweit aus abgetretenem Recht geltend. Oftmals sind Versicherungen der Atlanticlux Lebensversicherung S.A. aus Luxemburg betroffen. Mehrere Gerichte sahen die Vermittlungsgebührenprovision als verwirkt an, da der Versicherungsmakler sich treuwidrig verhalten habe, indem er den Betroffenen lediglich eine bestimmte Versicherung anbot.

Das Amtsgericht Kirchhain (Hessen) hatte mehrere gleichgelagerte Fälle zu entscheiden. Der Versicherungsvermittler und Zeuge A. mußte in den mündlichen Verhandlungen unumwunden einräumen, daß seine Vermittlungsleistungen mit der Tätigkeit eines unabhängigen Maklers nichts zu tun hatten.

Vgl. auch folgende Entscheidungen (z.T. andere Beteiligte betreffend):

Landgericht Schwerin, Urteil vom 28.08.2007, 2 S 40/07
Amtsgerichts Oranienburg, Urteil vom 13.02.2008, 22 C 15/07
Amtsgericht Aschaffenburg, Urteil vom 02.06.2006, 12 C 173/05



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