Gerichtsentscheidung: Fahrerlaubnisrecht



§ 15 StVZO

Lehnt es der Kläger nach einer gerichtlichen Beweisanordnung ab, sich einer Begutachtung seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu unterziehen, so kann in entsprechender Anwendung der §§ 427, 444, 446 ZPO davon ausgegangen werden, daß die fehlende Eignung erwiesen ist. Allerdings setzt diese Schlußfolgerung voraus, daß die gerichtliche Beweisanordnung gerechtfertigt gewesen ist (im Anschluß an BVerwG, U. v. 11. Juli 1985, Az.: 7 C 33.83 - NJW 1986, 1562).

Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil vom 10.11.1987, 2 UE 2899/86

Tatbestand:

Der am 31. Oktober 1937 geborene Kläger begehrt die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis. Er ist in verkehrsrechtlicher Hinsicht wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Am 14. August 1980 belegte ihn das Amtsgericht Gießen mit einer Geldbuße in Höhe von 500,-- DM, weil er unter Alkoholeinfluß mit seinem Pkw am Straßenverkehr teilgenommen hatte. Die Blutalkoholkonzentration betrug im Fahrtzeitpunkt 0,9 Promille. Weiterhin wurde der Kläger mit einem Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten belegt. 2. Mit Urteil vom 15. Juli 1982 bestrafte ihn das Amtsgericht Gießen wegen Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit am Steuer mit 35 Tagessätzen Geldstrafe, wobei der Tagessatz auf 20,-- DM festgesetzt wurde. Der Kläger hatte mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,0 Promille mit seinem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilgenommen und dabei einen Unfall verursacht: Weiterhin wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen und der Verwaltungsbehörde untersagt, dem Kläger vor Ablauf von drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Bereits mit Beschluß vom 8. Oktober 1981 war dem Kläger die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden.

Am 30. September 1982 beantragte der Kläger beim Landrat des Landkreises Gießen, ihm die Fahrerlaubnis der Klasse 3 wiederzuerteilen. Die Straßenverkehrsbehörde gab ihm daraufhin am 16. November 1982 auf, ein Gutachten einer anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Da der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, lehnte die Straßenverkehrsbehörde mit Bescheid vom 23. März 1983 den Antrag des Klägers ab. Im Widerspruchsverfahren unterzog sich der Kläger der Begutachtung durch den Rheinland-Westfälischen Techn. Überwachungsverein. Dieser kam in seinem Gutachten am 6. Dezember 1983 zu dem Ergebnis, daß unter dem Aspekt "der anlaßbezogenen Untersuchung" aus verkehrsmedizinischer Sicht keine Bedenken an der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestünden. Allerdings sei eine fachpsychiatrische Untersuchung notwendig. In dem psychologischen Teil kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, daß eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht befürwortet werden könne.

Mit Bescheid vom 19. Januar 1984 wies daraufhin der Regierungspräsident in Gießen den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 22. Oktober 1984 beantragte der Kläger erneut beim Landrat des Landkreises Gießen, ihm die Fahrerlaubnis der Klasse 3 wiederzuerteilen. Am 27. November 1984 gab die Führerscheinstelle dem Kläger auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Daraufhin unterzog sich der Kläger am 14. Februar 1985 einer Begutachtung durch die Technische Überwachung Hessen. Die Gutachterin kam in dem medizinischen Teil der Untersuchung zu dem Ergebnis, daß der Kläger psychiatrisch neurologisch untersucht werden müsse, bevor ein abschließendes Urteil über seine medizinische Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen abgegeben werden könne. In dem psychologischen Teil des Gutachtens kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, daß die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht vertretbar sei. Der Kläger setze Alkohol als Problemlöser ein. Damit könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Kläger erneut unter Alkoholeinfluß am Straßenverkehr teilnehme, wenn er wieder im Besitz einer Fahrerlaubnis sei. Mit Bescheid vom 5. Juni 1985 lehnte daraufhin der Landrat des Landkreises Gießen den Antrag des Klägers ab. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies der Regierungspräsident in Gießen mit Bescheid vom 18. September 1985 zurück, weil der Kläger nach dem Ergebnis der vorgenommenen Begutachtung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet sei. Es bestehe eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, daß der Kläger erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluß führen werde, sofern er wieder in den Besitz einer Fahrerlaubnis gelange. Anhaltspunkte dafür, daß in seinem Fall ausnahmsweise von keiner erhöhten Rückfallgefährdung auszugehen sei, seien nicht ersichtlich.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 26. September 1985 Klage, mit der er die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erstrebte. Zur Begründung trug er vor, entgegen den Annahmen in den Gutachten sei er geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Er habe sich vorgenommen, sich nicht wieder unter Alkoholeinfluß an das Steuer eines Kraftfahrzeuges zu setzen. Damit dürfe nicht davon ausgegangen werden, daß in seinem Fall eine erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit vorliege.

Der Kläger beantragte nach Einschätzung des Verwaltungsgerichts sinngemäß,

    den Bescheid des Landrates des Landkreises Gießen vom 5. Juni 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidenten in Gießen vom 18. September 1985 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis der Klasse 3 zu erteilen.
Der Beklagte beantragte,
    die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trug er vor, der Kläger sei nach den eingeholten medizinisch-psychologischen Gutachten ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Ihm sei deshalb die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu Recht versagt worden.

Mit am 14. Oktober 1986 beratenem Gerichtsbescheid wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Dies ergebe sich aus den Gutachten vom 6. Dezember 1983 und 14. Februar 1985. Aus beiden Gutachten folge, daß im Falle des Klägers ein hohes Risiko für erneute Trunkenheitsfahrten bestehe. Hiervon müsse auch deshalb ausgegangen werden, weil der Kläger sein Fehlverhalten bei Trunkenheitsfahrten bisher nicht eingesehen habe. Er nehme ständig Schuldzuweisungen vor, um von seinem Fehlverhalten abzulenken.

Gegen diesen am 17. Oktober 1986 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. Oktober 1986 Berufung eingelegt. Zur Begründung nimmt er auf sein bisheriges Vorbringen Bezug und führt aus, er sei geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies belege das Gutachten des Diplom-Psychologen H. vom 27. September 1986. Der Sachverständige komme in seinem Gutachten nach einer 16tägigen Untersuchung zu dem Ergebnis, daß er aus medizinisch-psychologischer Sicht geeignet sei, ein Kraftfahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen. Damit müsse ihm auch die Fahrerlaubnis wiedererteilt werden.

Der Kläger beantragt,

    das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag der ersten Instanz zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
    die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf den gesamten Akteninhalt.

Der Senat hat mit Beschluß vom 25. September 1987 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage angeordnet, ob der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Der Kläger hat es abgelehnt, sich dieser Begutachtung zu unterziehen.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Hefter) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Auf ihren Inhalt sowie auf den der Gerichtsakten wird verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat kann die Frage unbeantwortet lassen, ob das Verwaltungsgericht den Klageantrag zutreffend dahin ausgelegt hat, der Kläger erstrebe die Verpflichtung des Beklagten, ihm die Fahrerlaubnis der Klasse 3 zu erteilen. Hiergegen spricht, daß eine Fahrerlaubniserteilung im Falle des Klägers nur dann in Betracht kommen kann, wenn die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen feststeht und der Kläger eine Fahrerlaubnisprüfung besteht. Denn der Kläger hat die Fahrerlaubnisprüfung nach § 15 c Abs. 2 Satz 3 StVZO abzulegen, weil seit der Entziehung der Fahrerlaubnis (15. Februar 1982) mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Damit könnte eine Verpflichtung zur Erteilung der Fahrerlaubnis selbst dann nicht ausgesprochen werden, wenn die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen feststünde. Bei solchen Fallgestaltungen hat der Senat bisher angenommen, daß nur eine Beschränkung des Klagebegehrens den Interessen des Klägers entspricht, wobei der Antrag darauf gerichtet sei, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger zur Fahrprüfung zuzulassen. Der Senat kann im vorliegenden Verfahren offenlassen, ob im Hinblick auf die vom Oberverwaltungsgericht Münster in seiner Entscheidung vom 17. März 1975 (VRS Band 50, 79) gegen diese Antragstellung geäußerten Bedenken eine Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage dem Begehren des Klägers eher Rechnung trägt oder ob der Antrag des Klägers dahin zu verstehen ist, daß er die Verpflichtung zur Erteilung einer Fahrerlaubnis nach Bestehen der Fahrprüfung erstrebt. Denn das Begehren kann auch bei einschränkender Auslegung in dieser Richtung in der Sache keinen Erfolg haben.

Die Zulassung zur Fahrprüfung bzw. die Verpflichtung der Beklagten zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse 3 nach Bestehen einer Fahrprüfung setzt voraus, daß die Geeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen bejaht werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnis nur zu erteilen, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist insbesondere derjenige Bewerber um die Fahrerlaubnis, der wegen körperlicher oder geistiger Mängel ein Kraftfahrzeug nicht sicher führen kann (§ 15 b Abs. 1 Satz 2 StVZO).

Der Kläger ist in diesem Sinne ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Der Beklagte geht in seinem Bescheid davon aus, daß der Kläger sowohl aus medizinischen als auch psychologischen Gründen nicht in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen. Diese Schlußfolgerung muß im vorliegenden Verfahren als zugestanden behandelt werden. Denn der Kläger hat es abgelehnt, sich erneut begutachten zu lassen, obgleich der Senat eine neuerliche medizinisch-psychologische Untersuchung durch einen Sachverständigen für erforderlich gehalten hat. Damit hat er verhindert, daß der Sachverhalt näher aufgeklärt wird und seine Fähigkeiten zum Führen von Kraftfahrzeugen aus medizinischer und psychologischer Sicht näher untersucht werden. Nach dem Rechtsgedanken der §§ 427, 444 und 446 ZPO muß deshalb davon ausgegangen werden, daß der Beklagte die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen bewiesen hat (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11. Juli 1985, Az.: 7 C 33.83 - VRS 70, 231; NJW 1986, 1562).

Allerdings ist diese Schlußfolgerung aus der Weigerung des Klägers, sich einer Begutachtung zu unterziehen, nur dann gerechtfertigt, wenn die vom Senat durch Beschluß vom 25. September 1987 angeordnete Beweiserhebung erforderlich gewesen ist (vgl. BVerwG, U. v. 11. Juli 1985, am angegebenen Ort m.w.N.). Dies ist jedoch entgegen der Auffassung des Klägers der Fall. Der Senat konnte nicht bereits aufgrund des Gutachtens des Dr. med. D. sowie des Diplom-Psychologen H. vom 27. September 1986/8. Oktober 1986 davon ausgehen, daß beim Kläger keine Eignungsmängel mehr vorliegen. Denn den Feststellungen in diesem Gutachten stehen die Ergebnisse entgegen, zu denen die Sachverständigen des TÜV Siegen und der TÜH in Gießen in ihren Gutachten vom 6. Dezember 1983 und 14. Februar 1985 gelangt sind. Die Sachverständigen haben in diesen Gutachten übereinstimmend erklärt, daß der Kläger nach wie vor Alkohol als Problemlöser einsetze. Zudem haben die Sachverständigen eine psychiatrische Begutachtung des Klägers für erforderlich gehalten. Zu dieser Frage wird in dem Gutachten vom 27. September 1986/8. Oktober 1986 nur kursorisch Stellung genommen. Im übrigen fehlt insoweit auch eine Auswertung der Eingaben des Klägers vom 20. November 1982, 6. Dezember 1982, 10. Juli 1985, 1. Oktober 1985, 16. Dezember 1985, 5. Mai 1986 und 15. Mai 1986 sowie des gesamten Akteninhalts. Auch haben sich die Sachverständigen Dr. D. und H. nicht mit den Gutachten vom 6. Dezember 1983 und 14. Februar 1985 auseinandergesetzt.

Andererseits belegt aber auch das Gutachten des Dr. med. D. sowie des Diplom-Psychologen H. vom 27. September 1986/ 8. Oktober 1986, daß die Feststellungen in den Gutachten des TÜV in Siegen und der TÜH in Gießen, die zudem mehrere Jahre zurückliegen, nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden können, zumal der Kläger in neuerer Zeit im Zusammenhang mit Alkoholgenuß nicht mehr negativ in Erscheinung getreten ist. Bei dieser Sachlage hätte der Senat die Eignung das Klägers deshalb nur aufgrund einer neuen Begutachtung feststellen können. Denn in einem solchen Gutachten hätte die Frage beantwortet werden können, ob nach wie vor Alkoholprobleme bestehen und der Kläger aus psychiatrischer Sicht die hinreichende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt. Damit war auch der Beweißbeschluß gerechtfertigt.

Nach alledem hat deshalb das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen, so daß die Berufung zurückzuweisen ist. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Vollstreckbarkeitserklärung beruht auf § 157 i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 232 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.






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