Gerichtsentscheidung: Zivilverfahrensrecht



§§ 304, 538 ZPO

Unzulässiges Grund- und Teilurteil, Zurückverweisung des Rechtsstreits

Oberlandesgericht Frankfurt am Main
14. Zivilsenat in Kassel
Urteil vom 05.10.2010, 14 U 161/09


Aus den Gründen:

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Mängelbeseitigung und Schadensersatz wegen Baumängeln im Zusammenhang mit dem Neubau eines Einfamilienhauses in Anspruch.

[...]

Das Landgericht Fulda hat zur Mängelursache Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen A. vom 29.12.2007, das mit schriftlichem Gutachten vom 19.01.2009 ergänzt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Gutachtenexemplare nebst Anlagenband Bezug genommen.

[...]

Mit Grund- und Teilurteil vom 05.08.2009, auf das wegen der weiteren Feststellungen verwiesen wird (Bl. 428 ff. Bd. II d.A.), hat es die Klage gegen die Beklagte zu 1.) auf Nachbesserung des Natursteinbodens im Erd- und Obergeschoss und die Klage gegen die Beklagte zu 2.) auf Nachbesserung des Estrichbelages dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es hat die Beklagten ferner als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.858,32 EUR (Kosten des Privatgutachtens) nebst Zinsen verurteilt und die Ersatzpflichtigkeit für sämtliche entstehenden Schäden im Zusammenhang mit der Beseitigung der mangelhaften Naturstein- und Estrichbeläge im Erd- und Obergeschoss festgestellt. Die Beklagte zu 1.) hat es weitergehend verurteilt, die Natursteinbeläge der Terrassenanlage dahin nachzubessern, dass eine ausreichende Entwässerung gewährleistet sei und im Übrigen (Nachbesserung Außentreppe) die Klage abgewiesen.

[...]

Der Erlass des Grundurteil, mit dem der Anspruch der Klägerin auf Nachbesserung des Natursteinbodens (Beklagten zu 1.) bzw. Estrichbelags (Beklagte zu 2.) im Erd- und Obergeschoss dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wurde, stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dar und rechtfertigt die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung an das Landgericht Fulda.

Nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO besteht die Möglichkeit der Zurückverweisung bei entsprechendem Antrag einer Partei dann, wenn das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Diese Voraussetzungen liegen vor:

Die Entscheidung über das Nachbesserungsverlangen durch Grundurteil war verfahrensfehlerhaft, weil die Voraussetzungen des § 304 Abs. 1 ZPO nicht erfüllt sind. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils sind von Amts wegen zu prüfen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Auflage, § 304 Rn. 17).

Ein Grundurteil nach § 304 Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist. Mit der Klage muss damit ein Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden, der einen quantitativ bestimmten Betrag Geld oder anderer vertretbarer Sachen oder Leistungen betrifft (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Auflage, § 304 Rn. 5). Der Erlass eines Grundurteils kommt damit nur bei einem bezifferten (mengenmäßig bestimmten) Anspruch in Betracht (Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 3). Daran fehlt es. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Mängelbeseitigung nach § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. (Beklagte zu 1.) bzw. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B 1992 (Beklagte zu 2.). Die Klage zielt damit auf eine Verurteilung zur Vornahme vertretbarer Handlungen i.S. des § 887 Abs. 1 ZPO. Der Anspruch ist nicht auf einen mengenmäßig bestimmten Anspruch, sondern auf Vornahme einer Handlung, gerichtet. Die Voraussetzungen des § 304 Abs. 1 ZPO liegen damit nicht vor, weil es an einem begehrten "Betrag" fehlt (LG Berlin, JR 1956, 187; Stein/Jonas/Leipold, a.a.O.; Zöller/Vollkommer, a.a.O Rn. 4).

Der rechtsfehlerhafte Erlass eines Grundurteils stellt auch einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (BGH, Urteil vom 30.11.1989, Az.: IX ZR 249/88, Tz.38 - zit. nach juris; OLG Saarbrücken, OLGR 2003, 363 f., Musielak/Ball, ZPO, 7. Auflage, § 538 Rn. 11)

Der Verfahrensfehler macht eine umfangreiche Beweisaufnahme durch den Senat erforderlich:

[...]

Nach alledem ist es eine weitere umfangreiche Beweisaufnahme unumgänglich. Welchen Inhalt die Nachbesserungspflichten haben und ob sie vor dem Hintergrund der von der Beklagten zu 1.) eingewandten Unzumutbarkeit überhaupt bestehen, ist mit sachverständiger Hilfe weiter aufzuklären.

Zwar ist grundsätzlich das Berufungsgericht verpflichtet, die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden; § 538 Abs. 1 ZPO. Bei der Ermessensentscheidung, ob und inwieweit von der Ausnahmeregelung des § 538 Abs. 2 Satz Nr. 1 ZPO Gebrauch gemacht wird, ist zu berücksichtigen, dass eine Zurückverweisung in aller Regel zu einer weiteren Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits und zu weiteren Nachteilen führt und dies den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen kann. Das Berufungsgericht ist in diesem Zusammenhang zu einer umfassenden Abwägung hinsichtlich der mit einer Zurückverweisung verbundenen Vor- und Nachteile verpflichtet.

Es ist vorliegend nicht damit getan, Beweis über einen einzelnen Baumangel zu erheben. Die erforderliche Beweiserhebung ist in Anbetracht der Fülle von Mängelursachen komplex und schwierig. Den Vorteilen, die eine Beweisaufnahme durch den Senat mit sich bringen würde, stehen gewichtige Nachteile der Parteien gegenüber, die den Verlust einer Tatsacheninstanz hinnehmen müssten. Dies wiegt vor dem Hintergrund der beschriebenen Komplexität schwerer als die mit einer erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme vor dem Landgericht verbundenen Nachteile.

Die weiteren Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO liegen ebenfalls vor. Die Beklagte zu 2.) hat die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt. Insofern bedarf keiner Entscheidung, ob bei Erlass eines unzulässigen Grundurteils auch eine Zurückverweisung von Amts wegen in entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Satz 1 Nr. 7 ZPO ohne Antrag erfolgen kann (dafür: Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 23).


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