Gerichtsentscheidung: Strafvollstreckungsrecht



§ 56g StGB

Zurückstellung der Entscheidung über den Straferlaß

Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Beschluß vom 19.07.2007, 3 Ws 685/07


Beschluß

In der Strafvollstreckungssache

gegen     Herrn X

Verteidiger: Rechtsanwalt Frank Löwenstein, Altenritter Straße 9, 34255 Baunatal

hier: Zurückstellung der Entscheidung über den Straferlass

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Kassel vom 11.06.2007, am 19.Juli 2007 beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten (§ 473 I StPO) verworfen.


Gründe:

Das auf die Entscheidung, den Straferlass einstweilen zurückzustellen, in zulässiger Weise beschränkte Rechtsmittel ist zulässig. Es kann dahinstehen, ob insoweit die einfache oder die sofortige Beschwerde eröffnet ist (vgl. hierzu Gribbohm, in: LKStGB, 11. Aufl., § 56g Rn 19). Denn die Wochenfrist (§ 311 11 StPO) wurde gewahrt und die Entscheidung der Kammer hält auch einer durch § 453 II 2 StPO nicht beschränkten Prüfung durch den Senat stand.

Der Straferlass setzt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 15.12.2003 - 3 Ws 1396/03 mwN) in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur (BGH, NStZ 1993, 235; OLG Hamm, NStZ 1998, 478 mwN; Tröndle/Fischer, StPO, 54. Aufl., § 56g Rn 1 -jew. mwN) voraus, dass sich das Gericht die Überzeugung verschafft hat, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung endgültig fehlen. Wenn - wie hier - auf Grund anhängiger Strafverfahren der Verdacht besteht, dass der Widerrufsgrund des § 56f 11 Nr. 1 StGB vorliegt, ist hingegen die Entscheidung über den Erlass der Strafe vorübergehend - ggf. bis zum Abschluss der Anlassverfahren - zurückzustellen, damit namentlich im Falle des Bestreitens der neuerlichen Straffälligkeit die Täterschaft und Schuld in einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise festgestellt werden können. Dem widerstreitet - entgegen der Ansicht der Verteidigung - auch nicht die Regelung des § 56g I StGB. Diese sieht nämlich eine Frist über den Erlass der Strafe nicht vor; ferner kann der Widerruf auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen (BGH und OLG Hamm - jew. aaO mwN). Der Straferlass muss vielmehr trotz laufender Strafverfahren nur dann nach Ablauf der Bewährungszeit unverzüglich erfolgen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass die Voraussetzungen für einen Aussetzungswiderruf endgültig fehlen, etwa weil ein solcher aus Rechtssicherheits- und Vertrauensgrundsätzen unzulässig ist (vgl. BGH aaO). Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor.

Es gibt keine feste zeitliche Grenze, ab der ein Widerruf unzulässig wäre (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 58. Aufl., § 56 f Rn 19; Horn, in: SK-StGB, § 56 f Rn 33, 37; KG, Beschl. v. 4.12.2001 - 5 Ws 713/01- Juris mwN; OLG Hamm, NJW 1972, 500; OLG Koblenz, MDR 1985, 70; OLG Zweibrücken, NStZ 1988, 501; sowie st. Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschl. v. 13. 8. 1998 - 3 Ws 725 + 726/98 m. w. N.; einschränkend: Stree, in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 56 f Rn 13). Die Frist des § 56g II 2 StGB ist auf § 56f StGB nicht anwendbar (KG aaO; OLG Hamm, NStZ 1998, 478, 479 -jew. mwN). Es müssen lediglich die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere das Gebot einer angemessenen Beschleunigung des Verfahrens (vgl. Horn, a. a. 0.) und des Vertrauensschutzes (vgl. Senatsbeschl. v. 2. 1. 1996 - 3 Ws 1/96) gewahrt werden. Ein Widerruf ist danach nur unzulässig, wenn entweder die Widerrufsentscheidung aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen verzögert wird (vgl. Senatsbeschl. v. 2.10.2006 - 3 Ws 952/06 und v. 13. 12. 1993 -3 Ws 730/95 -jew. mwN.; OLG Hamm, StV 1985, 198; OLG Stuttgart, StV 1985, 380; OLG Koblenz, MDR 1985, 70), oder aber das Verfahren über die Anlasstaten für den Widerruf ungebührlich hinaus geschoben wurde und der Verurteilte darauf vertrauen konnte, seine neuerliche Straffälligkeit werde nicht mehr mit einem Widerruf geahndet (vgl. Senatsbeschl. v. 13. 8. 1998 - 3 Ws 725+726/98). Hieran fehlt es.

Dass die Kammer mit dem Widerruf zuwarten will, bis die Anlassverfahren gegen den die Taten bestreitenden Angeklagten rechtskräftig abgeschlossen sind, ist nicht nur sachgerecht, sondern von der Unschuldvermutung geboten. Jedenfalls im Verfahren 4820 Js 33856/04 ist eine ungebührliche Verfahrensverzögerung in dem allein maßgeblichen Zeitraum nach Ablauf der Bewährungszeit (Senat, Beschl. v. 10.12.1997 -- 3 Ws 995/97; BGH, NStZ 1993, 235: "wegen des langen Zeitraums nach Ende der Bewährungszeit", "zum Zeitpunkt des Ablaufes der Bewährungsfrist war Anklage bereits erhoben') nicht erkennbar. Die zu diesem Zeitpunkt bereits laufende Hauptverhandlung wurde zügig abgeschlossen. Das - von der Verteidigung z.Zt. lediglich befürchtete - Ausschöpfen der Urteilsabsetzungsfrist mag zwar dem besonderen Beschleunigungs-gebot in Haftsachen widersprechen (vgl. BVerfG, NJW 2006, 677, 579), stellt aber in einer Nichthaftsache wie der vorliegenden jedenfalls keine ungebührliche Verzögerung dar. Gründe des Vertrauensschutzes sprechen schon deswegen nicht gegen einen Widerruf im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung in dem genannten Anlassverfahren, weil der Verurteilte am 2.12.2006, also vor Ablauf der Bewährungszeit, ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass er trotz des bevorstehenden Ende des Bewährungszeit nach rechtskräftigen Abschluss der Anlassverfahren mit einem Widerruf rechnen müsse (Senat, Beschl. v. 2.10.2006 - 3 Ws 952- 953/06, OLG Koblenz, DAR 1987, 93; Beschl. v. 21.6.2006 - 1 Ws 379/06 - Juris; KG, Beschl. v. 12.02.2007 - 2 Ws 98/07 - Juris; OLG Rostock 21 1 2004 - 1 Ws 18/03 - Juris jew. mwN).





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