Gerichtsentscheidung: Strafrecht



Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG

Aufhebung des Berufungsurteils wegen langer Dauer des Revisionsverfahrens

Oberlandesgericht Dresden
Beschluß vom 17.09.2007, 2 Ss 216/06

Beschluß

In der Strafsache

gegen Herrn X.,

Verteidiger: Rechtsanwalt Frank Löwenstein, Altenritter Straße 9, 34255 Baunatal

wegen Betruges


Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

    1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 27. Oktober 2005 aufgehoben.

    2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts Bautzen zurückverwiesen.

G r ü n d e:

I.

Das Amtsgericht Kamenz hatte den Angeklagten am 16. Juni 2005 wegen Betruges zu der Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Hiergegen hatten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel - der Angeklagte durch Erklärung in der Berufungshauptverhandlung - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Am 27. Oktober 2005 hat das Landgericht Bautzen beide Berufungen als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, der Verfahrenshindernisse sowie eine Verletzung der fairen Verfahrensgestaltung geltend macht und darüber hinaus die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.


II.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Berufungskammer des Landgerichts.

Zwar sind die Einwände des Angeklagten gegen die Prozessvoraussetzungen aus den Gründen, wie sie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 02. August 2007 dargelegt hat, unbegründet. Auch war, wie die Generalstaatsanwaltschaft gleichfalls zu Recht ausführt, die Berufungsbeschränkung durch Erklärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung rechtswirksam, § 318 StPO. Schließlich ist auch der Rechts-folgenausspruch des Landgerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, so dass die Revision insgesamt zu verwerfen gewesen wäre (§ 349 Abs. 2 StPO).

Bei seiner Entscheidung hat der Senat aber von Amts wegen zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach Erlass des tatrichterlichen Urteils in einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßenden Weise verzögert worden ist (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 8; BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 8). Das Urteil wurde am 27. Oktober 2005 verkündet und gelangte am 15. Dezember 2005 auf die Geschäftsstelle. Dem Verteidiger wurde es am 20. Dezember 2005 zugestellt; nach Eingang der Revisionsbegründung im Januar 2006 wurde die Akten der Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 StPO am 19. Januar 2006 zugestellt. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gingen sie am 21. März 2006 ein. Dem Senat liegen die Akten erst seit dem 03. August 2007 vor. Diese allein von den Justizbehörden zu vertretende, bei der Zuleitung der Akten an das Oberlandesgericht erfolgte Verletzung des Gebots, Strafverfahren zügig zu fördern, muss bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden (BGH a.a.O.).

Dem Senat ist es allerdings verwehrt, vorliegend diesen aus der Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) herzuleitenden eigenständigen Strafmilderungsgrund (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 07. März 1997 - 2 BvR 2173/96 -) selbst anzuwenden, obgleich damit notwendigerweise eine weitere Verfahrensverzögerung eintreten wird. Zum einen hatte bereits das Landgericht auf eine Freiheitsstrafe erkannt, die gerade oberhalb der Grenze des § 47 Abs. 1 StGB angesiedelt war; bei einer Reduzierung des Strafmaßes wären - vorbehaltlich weiterer, dem Senat nicht bekannter Umstände - die Besonderheiten der in dieser Vorschrift zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Wertung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu beachten. Zum anderen können wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs weitere Gesichtspunkte zur Beurteilung der Kriminalprognose des Angeklagten maßgeblich geworden sein (§ 56 StGB), die der Klärung in einer Hauptverhandlung bedürfen (vgl. dazu auch neuestens BGH Beschluss vom 23. August 2007 - 3 StR 50/07 -).







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