Gerichtsentscheidung: Ausländerrecht



AuslG §§ 103, 57; FEVG §§ 3, 7; FGG §§ 22, 12

Aufklärungspflicht des Gerichts bei der Anordnung der Abschiebungshaft

OLG Zweibrücken
Beschluß vom 02.08.2004, 3 W 156/04


In dem Verfahren betreffend die Anordnung der Abschiebungshaft,

an dem beteiligt sind:

1. Frau X, algerische Staatsangehörige alias Frau Y,

Betroffene und Beschwerdeführerin,
auch hinsichtlich der sofortigen weiteren Beschwerde,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Löwenstein & Banhegyi, Altenritter Str. 9, 34255 Baunatal.


2. Stadtverwaltung Mainz -Amt für Ausländerangelegenheiten -, Kaiserstraße 3-5, 55116 Mainz,

antragstellende Behörde und Beschwerdegegnerin,
auch hinsichtlich der sofortigen weiteren Beschwerde,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts A, den Richter am Oberlandesgericht B und die Richterin am Oberlandesgericht C

auf die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen vom 23./24. Juli 2004 gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 22. Juli 2004

ohne mündliche Verhandlung
am 02. August 2004

beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über die etwaige Erstattung außergerichtlicher Kosten der Betroffenen im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde, an das Landgericht Mainz zurückgewiesen.


Aus den Gründen:

Die sofortige weitere Beschwerde ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§ 103 Abs. 2 AuslG, §§ 3 Satz 2, 7 FEVG, §§ 29 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4, 22 Abs. 1 FGG).

In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO), weil es den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FEVG, § 12 FGG).

1. Soweit die Zivilkammer die situativen Voraussetzungen des Haftgrundes nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG bejaht hat, ist die Entscheidung rechtsfehlerhaft, weil sie nicht auf einer hinreichend tragfähigen Tatsachengrundlage ergangen ist.

§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG rechtfertigt die Sicherungshaft, wenn „der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will“. Der Haftgrund setzt die Feststellung konkreter einzelfallbezogener Umstände voraus, die einen solchen Verdacht zu rechtfertigen vermögen; allgemeine Vermutungen genügen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2000 - V ZB 5/00 -, abgedr. in FGPrax 2000, 130 und NVwZ 2000, 965; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 10. Februar 2004 - 3 W 22/04 -).

Im vorliegenden Fall ist der Verdacht auf einen Entziehungswillen der Betroffenen vom Landgericht aus deren Täuschung über ihre Identität anlässlich der Inhaftnahme sowie aus dem noch ausstehenden Ergebnis der Prüfung der Echtheit ihres später in Fotokopie vorgelegten Passes geschöpft worden.

Das genügt hier angesichts der Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 5 Abs. 1 EMRK nicht den Anforderungen des § 12 FGG. Wenn der Betroffenen nämlich ihre in den Tatsacheninstanzen aufgestellte Behauptung geglaubt werden kann, dass sie erst kürzlich und allein zum Zwecke eines Krankenbesuches bei ihrer an Krebs erkrankten Schwester nach Deutschland eingereist ist und wenn sie ansonsten in geordneten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Frankreich lebt, können diese Umstände durchaus geeignet sein, den Haftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG in Frage zu stellen. Es wäre deshalb geboten gewesen, dass das Landgericht die Betroffene persönlich zu den näheren Umständen ihres Aufenthaltes in Deutschland und zu ihren sozialen Bindungen in Frankreich angehört hätte. Zur besseren Sachaufklärung hätte im Übrigen auch eine Anhörung der beiden Schwestern der Betroffenen beitragen können. Das wird nunmehr nachzuholen sein.

2. Im Hinblick auf den vom Amtsgericht bejahten weiteren Haftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG wird aufgrund des von der Betroffenen zu gewinnenden persönlichen Eindrucks auch zu prüfen sein, ob sie dem Landgericht glaubhaft machen kann, dass sie sich der Abschiebung entziehen will (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 3 AuslG).

3. Im Rahmen der erneuten Sachbehandlung wird das Landgericht, so es die Haftanordnung des Amtsgerichts aufrechterhalten will, im Hinblick auf das seitens der Polizei gegen die Betroffene eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Vergehens gegen das Ausländergesetz schließlich auch zu klären haben, ob die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung trotz des laufenden Strafverfahrens einverstanden ist (vgl. § 64 Abs. 3 AuslG). Auch das ist bisher nicht geschehen.

4. Als Rechtsbeschwerdegericht ist der Senat an einer eigene Sachaufklärung gehindert; das neue tatsächliche Vorbringen in der am heutigen Tage eingegangenen Stellungnahme der antragstellenden Behörde kann deshalb aus Rechtsgründen für die vorliegende Entscheidung keine Berücksichtigung finden.

Falls die Kammer aufgrund der weiteren Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Anordnung der Abschiebungshaft nicht zulässig ist, wird sie auch über eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Betroffenen zu befinden haben (§ 16 Satz 1 FEVG).



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