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StPO §§ 475, 478, 161a

Strafverfahrensrecht. Akteneinsicht an Private. Anforderungen an den Antrag auf Akteneinsicht

Landgericht Kassel
Beschluß vom 15.10.2004, 5 AR 18/04

Beschluß

In der Strafsache

gegen       Herrn X
Antragsteller,
wegen       XX

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Frank Löwenstein, Altenritter Straße 9, 34225 Baunatal

hier:           Beschwerde gegen Gewährung von Akteneinsicht

hat die 5. große Strafkammer des Landgerichts Kassel am 15.10.2004

beschlossen:

    Es wird festgestellt, daß die Gewährung von Akteneinsicht für Rechtsanwalt Y gemäß Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 02.08.2004 rechtswidrig war. Die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Staatskasse.


Gründe:

Der Antragsteller ist mit rechtskräftigem Urteil der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Kassel vom 11.02.2004 wegen XX in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Schriftsatz vom 28.07.2004 meldete sich Herr Rechtsanwalt Y für einen Herrn Z, Kassel, und beantragte unter Vorlage einer Vollmacht Einsicht in die Strafakte. Zur Begründung führte Rechtsanwalt Y aus, daß er Herrn Z in einer zivilrechtlichen Angelegenheit gegen den Antragsteller vertrete und er zur sachgerechten Wahrnehmung der zivilrechtlichen Interessen seines Mandanten auf die Einsichtnahme in die Strafakte angewiesen sei. Die dem Schreiben vom 28.07.2004 beigefügte Vollmacht führt im Kopf auf, daß das Mandatsverhältnis wegen eines Mietverhältnisses erteilt worden sei.

Der Antragsteller beantragt gemäß § 478 Abs. 3 Satz 1 StPO gerichtliche Entscheidung mit dem Antrag, festzustellen, daß die Gewährung von Akteneinsicht an Herrn Z, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Y, rechtswidrig war.

Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, daß die Voraussetzungen für die Gewährung von Akteneinsicht an Rechtsanwalt Y vorgelegen hätten, weil in dem Antragsschreiben nebst der beigefügten Vollmacht ein berechtigtes Interesse ausreichend dargelegt worden sei. So sei anzunehmen, daß es sich bei der behaupteten zivilrechtilchen Angelegenheit um eine Mietstreitigkeit des Herrn Z als Eigentümer/Vermieter mit dem Antragsteller als Mieter handele.

Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Gemäß § 478 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 161a Abs. 3 Satz 2-4 StPO kann auch nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens und Erledigung der gewährten Akteneinsicht die Feststellung begehrt werden, daß eine von der Staatsanwaltschaft gewährte Akteneinsicht zu Unrecht erfolgt ist und damit rechtswidrig war. Das Feststellungsbegehren des Antragstellers ist damit zulässig; es ist auch in der Sache begründet.

Nach § 475 Abs. 2 in Verbindung mit Absatz 1 StPO kann einem Rechtsanwalt für eine Privatperson Akteneinsicht gewährt werden, soweit hierfür ein berechtigtes Interesse dargelegt wird. Auskünfte sind zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat ( § 475 Abs. 1 Satz 2 StPO). Über den Antrag auf Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft (§ 478 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz StPO). Bei ihrer Entscheidung steht der Staatsanwaltschaft ein Ermessen zu (... kann Akteneinsicht gewährt werden, ...), wobei das von dem Antragsteller darzulegende berechtigte Interesse gegebenenfalls mit diesen entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen an der Versagung der Akteneinsicht des hiervon Betroffenen abzuwägen ist. Um der Staatsanwaltschaft die erforderliche Ermessensabwägung zu ermöglichen, muß der private Antragsteller sein berechtigtes Interesse an der Informationserteilung darlegen, d.h. Tatsachen schlüssig vortragen, aus denen sich Grund und Umfang der gewünschten Auskünfte ergeben. Das berechtigte Interesse muß zwar nicht auf die Wahrnehmung formal eingeräumter Rechte gerichtet sein, jedoch erkennen lassen, aufgrund welcher tatsächlicher Beziehung der Auskunftssuchende die Auskunft/die Akteneinsicht begehrt und wofür er die Auskünfte benötigt.

Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in dem Schriftsatz von Rechtsanwalt Y vom 28.07.2004 nicht. Dieser erschöpfte sich vielmehr in einer formelhaften Behauptung, zur sachgerechten Wahrnehmung der zivilrechtlichen Interessen des Auskunftsuchenden sei Rechtsanwalt Y auf die Einsichtnahme in die Strafakte angewiesen. Auch der Hinweis, daß die Anwaltskanzlei von Rechtsanwalt Y Herrn Z in einer zivilrechtlichen Angelegenheit gegen den Antragsteller vertrete und die hierüber erteilte Vollmacht diese mutmaßlich als ein Mietverhältnis kennzeichnete, genügte den Anforderungen an die schlüssige Darlegung eines berechtigten Interesses nicht. Hieraus waren allenfalls Mutmaßungen möglich, daß es sich bei der zivilrechtlichen Angelegenheit möglicherweise um einen Mietrechtsstreit zwischen Herrn Z und dem Antragsteller handelte. Aus welchen Gründen nunmehr aber Akteneinsicht in eine Strafakte erforderlich war, die einen gänzlich anderen Sachverhalt zum Gegenstand hatte, erschließt sich aus dem Schriftsatz von Herrn Rechtsanwalt Y nicht. Dies hätte die Staatsanwaltschaft vor Gewährung der beantragten Akteneinsicht gegebenenfalls aufklären müssen, insbesondere auch unter Berücksichtigung, daß das vorliegende Strafverfahren sexuelle Verfehlungen des Antragstellers zum Gegenstand hatte, die bei Bekanntwerden in der Öffentlichkeit neben den strafrechtlichen Sanktionen erhebliche nachteilige Wirkungen für den Antragsteller haben konnten. Nur bei einer entsprechenden Darlegung, aus welchen Gründen Herr Z zur Wahrnehmung seiner (rechtlichen) Interessen auf die Einsichtnahme in die Strafakte angewiesen war, konnte die Staatsanwaltschaft überhaupt prüfen, ob der beantragten Akteneinsicht schutzwürdige Interessen des Antragstellers als des von der Akteneinsicht Betroffenen entgegenstanden. Diese von der Staatsanwaltschaft im Zuge ihres Ermessens bei der Frage der Gewährung der beantragten Akteneinsicht anzustellenden Überlegungen waren ihr aber nicht möglich, weil Rechtsanwalt Y ausreichend Tatsachen, die ein berechtigtes Interesse an der beantragten Akteneinsicht hätten belegen können, nicht vorgetragen hatte. Entsprechende Überlegungen hat die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung, Akteneinsicht zu gewähren, überhaupt nicht oder nur unzureichend angestellt, so daß ihre (Ermessens)-Entscheidung insgesamt fehlerhaft und damit die beantragte Akteneinsichtsgewährung rechtswidrig war.

Auf den Antrag des Antragstellers war dies im Wege des Beschlusses nachträglich festzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 465, 473 StPO.

Anmerkung:

Vgl. auch die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt, StV 2003, 495.



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