Ein Arbeitnehmer schuldet nur die Tätigkeit, die durch den Arbeitsvertrag festgelegt ist.
Hessisches Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Urteil vom 09.03.2005, 2 Sa 2267/04
In dem Berufungsverfahren
...
hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 2, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 09. März 2005 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und den ehrenamtlichen Richter ... und die ehrenamtliche Richterin als Beisitzer für Recht erkannt:
Tatbestand:
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Wirksamkeit einer von der
Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung.
Der Kläger arbeitete seit über 30 Jahren bei der Beklagten als Kraftfahrer zu einem
monatlichen Bruttogehalt von zuletzt € 2.500,00. Im Frühjahr wurde der einzig im Betrieb
vorhandene LKW, auf dem der Kläger eingesetzt war, entwendet. Die Beklagte traf die
Entscheidung, künftig keinen eigenen LKW mehr einzusetzen, sondern die anfallenden
Fahrten durch Spediteure durchführen zu lassen. Sie erklärte mit Schreiben vom 29.
April 2004 gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung mit dem Angebot der
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab 1. Dezember 2004 zu den Bedingungen des
der Änderungskündigung beigefügten Arbeitsvertrags vom 29. April 2004. Wegen des
Inhalts der Kündigung und des Änderungsvertrags wird auf Bl. 36 f. und 38 f. d.A. Bezug
genommen. Gleichzeitig ordnete sie an, dass der Kläger ab 1. Mai 2004 im Wege der
Einzelmaßnahme die Tätigkeit als Verantwortlicher für den Restholzbereich ausüben
sollte. Der Kläger nahm die Änderungskündigung unter Vorbehalt an, erhob mit einem am
18. Mai 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Kündigungsschutzklage. Er
bot nach dem 29. April 2004 seine Arbeitskraft als LKW-Fahrer gegenüber der
Beklagten an, die ihn jedoch aufforderte, die Arbeiten im Restholzbereich auszuführen.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2004, dem Kläger am 1. Juni 2004 zugegangen, sprach die
Beklagte gegenüber dem Kläger nach Erteilung der Zustimmung durch das
Integrationsamt eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem
Kläger aus. Der Kläger erklärte mit Scheiben vom 26. Oktober 2004 eine ordentliche
Kündigung gegenüber der Beklagten zum 30. November 2004.
Der Kläger hat mit einem am 3. Juni 2004 beim Arbeitsgericht eingegangene Schriftsatz,
der der Beklagten am 7. Juni 2004 zugestellt worden ist, wegen der außerordentlichen
Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des Vortrags der Parteien im ersten
Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 19. November 2004 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG
Bezug genommen (Bl. 113-115 d.A.).
Das Arbeitsgericht Kassel hat durch Urteil vom 19. November 2004 der Klage
stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Mai 2004 nicht aufgelöst worden ist.
Es hat genommen, die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung würden nicht vorliegen. Der Kläger habe – wie dem Schreiben seines
Prozessbevollmächtigten an die Beklagte zu entnehmen sei – sich nicht verpflichtet
gefühlt, im Restholzbereich zu arbeiten. Daher fehle es für eine mögliche
Vertragsverletzung an einem vorwerfbaren Verhalten. Weiterhin verstoße die
außerordentliche Kündigung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Beklagte
hätte ihre Vergütungszahlungen aufgrund der Nichtarbeit des Klägers einstellen können,
so dass ihr ein ausreichendes Sanktionsmittel zur Verfügung gestanden habe. Wegen
der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 115-117 d.A. Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 9. März 2005 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen
Berufung eingelegt.
Sie verfolgt ihr Begehren auf Klageabweisung unter Wiederholung und Ergänzung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie rügt, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass
sie aufgrund des Verhaltens des Klägers zum Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung berechtigt gewesen sei. Der Kläger habe beharrlich die Arbeit verweigert, weil
er – was unstreitig ist - allmorgendlich im Betrieb erschienen sei, starrsinnig eine
Beschäftigung als Fahrer verlangt und die für ihn vorgesehene Arbeit im Restholzbereich
nicht aufgenommen habe, zumal er diese im Zuge der Änderungskündigung
vorgesehene Tätigkeit unter Vorbehalt angenommen habe.
Die Beklagte beantragt,
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 9. März 2005 (Bl. 170 d.A.) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19. November 2004 verkündete Urteil des
Arbeitsgerichts Kassel ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in einem Rechtsstreit über
die Kündigung eines Arbeitsverhältnis eingelegt ohne Rücksicht auf den Wert des
Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Die Beklagte hat es
auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1
ArbGG).
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist
durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. April 2004 nicht beendet
worden, sondern hat bis zum 30. November 2004 fortbestanden und erst infolge der zu
diesem Tag ausgesprochenen Eigenkündigung des Klägers geendet.
Entgegen der Auffassung des Beklagten erweist sich die streitgegenständliche fristlose
Kündigung als rechtsunwirksam. Das Verhalten des Klägers, die Arbeit im
Restholzbereich nicht bereits ab dem 1. Mai 2004 aufzunehmen, rechtfertigt nach
Auffassung des Berufungsgerichts nicht den Ausspruch einer solchen Kündigung und
stellt insbesondere keine beharrliche Arbeitsverweigerung dar.
Die außerordentliche Kündigung muss inhaltlich den Anforderungen des § 626 BGB
genügen. Der Kläger, auf dessen Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz
aufgrund der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und der Größe des Betriebs der
Beklagten Anwendung findet, hat mit der am 3. Juni 2004 erweiterten
Kündigungsschutzklage die Frist des § 4 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG
gewahrt.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nach § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn
Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller
Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht
zugemutet werden kann. Prinzipiell sind nur solche Tatsachen geeignet, einen wichtigen
Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, die das Arbeitsverhältnis erheblich
belasten, wobei es allerdings ohne Bedeutung ist, ob sich die Störung im Leistungs-,
Vertrauens- oder betrieblichen Bereich auswirkt. Nach der Rechtsprechung kann eine
beharrliche Arbeitsverweigerung grundsätzlich geeignet sein, einen wichtigen Grund im
vorgenannten Sinne darzustellen (vgl. BAG vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83, AP
Nr. 6 zu § 8a MuSchG 1968; BAG vom 21. November 1996 - 2 AZR 357/95, AP Nr. 130
zu § 626 BGB). Voraussetzung hierfür ist, dass ein Arbeitnehmer nachhaltig seine
Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt, was sowohl bei wiederholten Verstößen als
auch bei einem bewussten und gewollten einmaligen Widersetzen gegen rechtmäßige
Anordnungen gegeben sein kann. Dementsprechend verbietet sich die Feststellung einer
nachhaltigen Arbeitsverweigerung immer dann, wenn aufgrund der Umstände des
Einzelfalls eine Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nicht bestanden hat. Ohne
Arbeitsverpflichtung kann ein Verhalten nicht als Arbeitsverweigerung gewertet werden.
Bei der Ausgestaltung der Arbeitsverpflichtung in Ausübung des dem Arbeitgeber
zustehenden Leistungsbestimmungsrechts hinsichtlich des Orts, der Zeit sowie der Art
und Weise der Arbeitsleistung ist dieser insoweit durch das Gesetz beschränkt, als die
Ausübung nach billigem Ermessen zu erfolgen hat (§ 315 Abs. 1 BGB). Da das
Direktionsrecht jedoch auf den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen den
Parteien beruht, kann es auch nur in den Grenzen des vertraglich Vereinbarten ausgeübt
werden. Mittels des Direktionsrechtes darf nicht in den kündigungsschutzrechtlich
gesicherten Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingegriffen werden (vgl. APS-Künzl,
2. Aufl., § 2 KSchG Rn 106). Das Direktionsrecht erlaubt dem Arbeitgeber deshalb nicht,
dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit zu übertragen, die nicht mehr von den vertraglichen
Festlegungen gedeckt ist. Der Arbeitnehmer hat vielmehr einen allgemeinen
Beschäftigungsanspruch, der auf eine vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet ist.
Deshalb hat der Arbeitgeber im Fall der Umsetzung/Versetzung darzulegen, dass die
neue Tätigkeit des Arbeitnehmers dem Arbeitsvertrag entspricht. Die Erfüllung dieser
Voraussetzung ist Bedingung für ein entsprechendes Versetzungsrecht des
Arbeitgebers (vgl. LAG Köln 4. August 2000 - 11 Sa 1365/99, ZTR 2001, 77). Ist nach
dem Inhalt des Arbeitsvertrags aufgrund des Weisungsrechts die Arbeitszuweisung nicht
möglich, bedarf es zur Übertragung anderer Tätigkeiten eines Änderungsvertrages oder
eine Änderungskündigung.
In Ansehung dieser Grundsätze hat der Kläger mit der Nichtaufnahme der Tätigkeiten im
Restholzbereich ab dem 1. Mai 2004 nicht gegen seine arbeitsvertraglichen
Verpflichtungen verstoßen. Unstreitig gibt es keine arbeitsvertraglichen Absprachen, aus
denen sich ergibt, dass die Parteien arbeitsvertraglich die Zuweisung einer anderen
Tätigkeit als der des LKW-Fahrers vorgesehen haben.
Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien schuldete der Kläger die
Tätigkeiten eines LKW-Fahrers, wozu sicherlich nicht nur die reine Fahrtätigkeit gehört.
Jedenfalls nicht erfasst von dieser Tätigkeit sind jedoch die von der Beklagten dem
Restholzbereich zugeordneten Aufgaben, da sie ihr ein anderes Gepräge geben.
Einseitig durfte die Beklagte dem Kläger nicht derartige Aufgaben als geschuldete
Arbeitsleistung zuweisen. Dies hat sie auch selbst erkannt, wie der Ausspruch der
Änderungskündigung vom 29. April 2004 zeigt. Hierbei handelte es sich um eine
ordentliche Änderungskündigung mit der Folge, dass der Kläger – der die Annahme unter
Vorbehalt erklärt hatte – erst mit Ablauf der Kündigungsfrist (30. November 2004) zu den
vom Arbeitgeber angebotenen neuen Arbeitsbedingungen arbeiten muss und ab diesem
Zeitpunkt eine Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr hätte
verlangen können (vgl. ErfK/Ascheid, 5. Aufl., § 2 KSchG Rn 44).
Wollte das Berufungsgericht der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung
folgen, würde der Arbeitnehmer seines ihm vom Gesetzgeber zugesprochenen
Kündigungsschutzes beraubt. Der Arbeitgeber könnte formal eine ordentliche
Änderungskündigung aussprechen, ihm aber mittels Anweisung per sofort eine Tätigkeit
zuweisen, die nicht vom Arbeitsvertrag gedeckt wäre. Damit würde der Arbeitgeber sich
einseitig, ohne dass die Voraussetzungen für eine Kündigung gemäß § 626 BGB
vorliegen müssten, vom Vertrag lösen. Die unternehmerische Entscheidung keinen
neuen LKW mehr anzuschaffen oder auf andere Weise betrieblich nutzbar zu machen,
berechtigt die Beklagte nicht, nach der bis zum 30. November 2002 geltenden
Vertragsausgestaltung, dem als Kraftfahrer eingestellten Kläger einseitig ab Mai 2004
eine ausschließlich im Restholzbereich angesiedelte Innendiensttätigkeit zuzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der
Berufung zu tragen, weil ihr Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72
Abs. 2 ArbGG).